1900 – 1918: Phase der Hochindustrialisierung und Urbanisierung

Als vor über 100 Jahren – am 1. Januar 1900 -in vielen Bürgergesellschaften und -vereinen die Sektkorken knallten, hatte Dortmund ein neues Jahrhundertgesicht. Nicht mehr Kirchtürme bildeten den Mittelpunkt der Siedlungen, sondern Förder­türme und Fabrikschlote. Auch in den Arbeiterkolonien war die Zuversicht ins neue Jahrhundert groß. Als Stadt der Kohle, des Eisens und des Bieres war Dortmund um 1875 in die Phase der Hochindustrialisierung eingetreten. Von verschiedenen konjunkturellen Auf- und Abschwüngen geprägt, hatte die Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts wieder einige Standortvorteile der Jahrhundertmitte gegenüber der Konkurrenz am Rhein, in Westfalen und im Ruhrgebiet eingebüßt. So setzte sich die Mittellage Essens im Revier seit den 1880er Jahren durch. Zentrale Verwaltungen für das Ruhrgebiet und Westfalen landeten in Essen oder Münster.

Die Oberpostdirektion, die nach Dortmund kam, war beispielsweise kein Äquivalent zur 1895 ein­gerichteten Eisenbahndirektion für das Ruhrgebiet in Essen. Es ist das Bewusstsein eigener Defizite in der städtischen Infrastruktur, das den lange anhaltenden und leidenschaftlichen Kampf um den Dortmund-Ems-Kanal erklärt. Für die Zukunft der Dortmunder Montanindustrie war eine städtisch angelegte Kanalkonzeption unerlässlich, die nach erheblichen Schwierigkeiten mit dem preußischen Fiskus und zahlreichen Kanal­gegnern 1899 ein gutes Ende fand.

Kaiser Wilhelm II. kam zur feierlichen Eröffnung des Schiffshebewerkes Henrichenburg und des Dortmund-Ems-Kanals am 11. August 1899 nach Dortmund. Nach langer Abstinenz endlich wieder ein Kaiserbesuch in der ehemaligen Reichsstadt. Das Alte Rathaus war aus diesem Anlass renoviert worden, und das Großbürgertum hatte dazu Innen­ausstattung und Ratssilber gestiftet. In den Jahren der Hochkonjunktur, insbesondere in der Zeit von 1893 bis 1913, wurde Dortmund von stürmischem Wachstum erfasst.

Städtebaulich war diese Epoche prägend. 1895 mit über 110.000 Einwohnern an der Schwelle zur Großstadt, werden 1898/99 unter der Leitung des Stadtbaurats Friedrich Kullrich, der bereits das Alte Hafenamt geplant hatte, das älteste steinerne Rathaus Deutschlands renoviert und bau­lich verändert sowie das Alte Stadthaus vollendet. Städtebauliche Akzente setzen die von dem re­nommierten Berliner Architekten Eduard Fürstenau erbaute neue Synagoge am Hiltropwall (1900) als Ausdruck der positiven Integration der jüdischen Gemeinde in Dortmund, die Eröffnung des größten Kaufhauses in Westfalen, des Kaufhauses Althoff (1904), die Einweihung des Stadttheaters am Hiltropwall (1904), des neuen Sparkassen- und Bibliotheksgebäudes (1908), des Oberbergamts-gebäudes (1910) und der Einweihung des neuen Bahnhofsgebäudes (1910). Die Grundsteinlegung zur Dortmunder Gartenstadt (1913) beschloss zunächst eine Reihe von erfolgreichen Planungs­und Baumaßnahmen vor dem Ersten Weltkrieg. Auch die Sport- und Erholungsanlagen Dortmunds, Vorbild für viele Kommunen Westfalens und des Ruhrgebietes, gehen in ihren Anfängen in die Zeit vor 1914 zurück. 1902 wurde das Kaiser-Wilhelm I. -Denkmal auf Hohensyburg – noch heute ein belieb­tes Ausflugsziel – eingeweiht. Der Lunapark im Fredenbaum mit seinem großen Saalbau für kulturelle Veranstaltungen und dem traditionellen Versammlungslokal der Arbeiterschaft, der „Hobertsburg”; der Kaiserhain, heute Teil des Westfalenparks sowie die neuangelegte Galopprennbahn in Wambel (1913) betonen die Freizeit­orientierung und neue Urbanität der entstehenden modernen Großstadt.

Vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich das Ruhrge­biet zu einem der größten industriellen Ballungs­räume Europas entwickelt, war Dortmund zu einem der wichtigsten Standorte der Industriewirt­schaft des damaligen Deutschen Reiches geworden. Die Kohleförderung erreichte 1913 in den Dort­munder Zechen 12,2 Mio. Tonnen, die Kokser­zeugung 3,4 Mio. Tonnen – Größenordnungen, die später nicht wesentlich übertroffen wurden. Den Umfang der Produktion der Eisenindustrie kurz vor dem Ersten Weltkrieg beschreibt ein Zitat:

„Im Norden der Stadt das Eisen- und Stahlwerk Hoesch, dessen Produktion reichte, um mit ihrem Erlös den gesamten Roggenimport Deutschlands zu decken; im Süden der Hörder Verein, dessen Erzeugung an Fertigfabrikaten zu gleicher Zeit täglich etwa 10 lange Eisenbahnzüge von je 50 Wagen füllte, und im Westen die Dortmunder Union, deren Jahresproduktion an Schienen zur Herstellung einer Gleisstrecke vom Nordkap bis Konstantinopel reichte.”

Die Betriebe der Stahler­zeugung, des Bergbaus und des Baugewerbes wurden von zahlreichen Unternehmen der Stahl-und Eisenindustrie wie Schüchtermann, Jucho, Klönne, Wagner & Co. und der Maschinenfabrik „Deutschland” versorgt. Zu einem der bedeutendsten Unternehmen im Bereich der Brauereieinrichtungen entwickelte sich in dieser Zeit die seit 1863 bestehen­de Maschinenfabrik Holstein & Kappert. Auch die auf Industrielokomotiven und Waggons spezialisierte Firma Orenstein & Koppel etablierte sich 1893 in Dortmund. Im Brückenbauwesen erreichten Dortmunder Firmen wie Klönne Weltniveau. Dritte wirtschaft­liche Säule neben Kohle und Eisenindustrie war das Braugewerbe.

Zwischen 1870 und 1913 hatte sich der Bieraus­stoß von 140.000 auf 1,7 Mio. Hektoliter erhöht – Dortmund zählte zu den größten Bierproduzenten der Welt.

Auch das kulturelle Leben erfuhr einen immensen Aufschwung. Neben dem städtischen Theater sorgten viele kleinere Theater und Kabaretts dafür, dass Dortmund zum Anziehungspunkt des Umlandes wurde. Bedeutende Künstler wie der Bildhauer Benno Elkan erhielten Aufträge von Dortmunder Bürgern. So erstellte Elkan, der wegen seiner jüdischen Herkunft 1933 zur Emigration gezwun­gen war, 1903 im Auftrag von Karlchen Richter, Chef­redakteur des „Dortmunder General-Anzeigers”, eine Grabskulptur. Diese und andere seiner Kunstwerke sind auf dem Ostenfriedhof, aber auch im Museum am Ostwall erhalten. Seine Menora, die er in den 50er Jahren im Auftrag des britischen Parlaments für die Knesset in Jerusalem schuf, zeigt, dass Dortmund Künstler von europäischem Format hervorgebracht hat.

Kommunalpolitisch betrachtet, gaben aufgrund des Dreiklassenwahlrechts noch Nationalliberale, Honoratioren und Unternehmer den Ton an, während bei der Reichstagswahl 1912 die Sozial­demokratie im Wahlkreis Dortmund-Hörde bereits 44,8 % der Wählerstimmen erreichte (Zentrum 23,6 %; Nationalliberale 23,2 %). Nach dem wirtschaftlichen deutete sich bereits vor 1914 der politische Umbruch an.

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